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Angelika Niescier "Sublim"

Do, 7. Oktober 2010

Coltranes Erbin mit Sax-Appeal

Jazzclub Koblenz präsentierte Konzert von Angelika Niescier im Café Hahn

Koblenz. Der Geist John Coltranes hält Einzug ins Café Hahn, als Angelika Niescier erste Töne aus dem Saxofon heraussprudeln lässt. Die 1970 in Stettin geborene und seit Jahren in Köln lebende Musikerin weiß sich sicher in der Tradition des musikalischen Ziehvaters aufgehoben, setzt dazu eigene Akzente und ist frei vom simplen Kopieren des letzten Jazz-Messias.

Niescier beherrscht ein Instrument, das sehr stark von Männern dominiert wird. Barbara Thompson zählt zu den wenigen Künstlerinnen, die schon lange den Herren Adderley, Parker und Co. Paroli bieten können. Candy Dulfer gehört seit den 90er-Jahren dazu. Angelika Niescier hat sehr viel Biss, spielt rasend schnell, weiß sich aber zugleich zurückzunehmen. Das Konzert, zu dem der Jazzclub eingeladen hat, zeigt eine verbal etwas nervöse, doch spieltechnisch mit viel Gefühl agierende Sax-Frau, die sich vorzüglicher Mitstreiter gewiss sein kann.

Die Namen ihrer Titel sind ungewöhnlich, ihre eigenen Kompositionen geprägt von emotionalen Erlebnissen. „Stückchen aus Geiz" weiß sowohl expressive wie spirituelle Sentiments zu bedienen. Mal bläst sich die Frontfrau orkanartig in schwindelnde Höhen, dann folgt das Altsaxofon den lyrischen Spuren, die Gastpianist Achim Kaufmann für den etatmäßigen Flügelmann Florian Weber setzt. Zu ihrem Quartett „Sublim" gehören der Bassist Sebastian Räther und Schlagzeuger Christoph Hillmann.

Der Drummer operiert in „Bill" mit einem vorwärtsdrängenden Impuls nach dem anderen. Der Kontrabassist folgt dem Tempo mit abgeklärter Routine, jederzeit auf der Höhe des Geschehens. Und das Tastenspiel gibt den komplexen Strukturen des Stücks die Farbe.

Die Ballade „Sirr" lässt die Seele baumeln. Der Besen rührt, das Sax streichelt zart, der Bass brummt leise, der Flügel hebt ab in klassische Höhen - virtuos und sinnlich.

„Thronk", ebenfalls von der jüngsten Scheibe „Sublim III" stammend, ist eine Thelonious-Monk-Hommage. Ähnlich wie beim unorthodoxen Hohepriester des Bebop geht's hier ungestüm zu. Niescier benutzt das Sopransax, Zwiegespräche zwischen Trommel, Tasten und Tieftöner entwickeln ein formidables Eigenleben. Eigenen Charakter weist die Vertonung von Bergmannsstrophen auf. Das Saxofon ist fordernd, kompromisslos, der Rhythmus energisch im Gegensatz zum textlichen Hintergrund. Mann will Frau, aber dann doch wieder nicht. Nähe wird mal gewünscht, mal verdammt - eine verworrene Story.

Hektik wie in einer Mega-City simuliert „Urban". Kaufmann reißt die Saiten des Flügels mit den Fingern an, Hillmann mimt maschinelle Monotonie. Schräg. Freejazziges scheint sich Bahn zu brechen, doch es bleibt letztlich bei coltranesken Gewittern.

Die „Oud Suite Part One" muss live ohne den typischen Klang der orientalischen Laute auskommen, was die vier Musiker aber mit morgenländischen Improvisationen und Instrumententricks kompensieren. Mit der Zugabe „Was ich denke", einer Reminiszenz an Niesciers Heimat (Inhalt: was Mädchen über Männer denken und wie sie ihnen ihre Schönheit und Klugheit „opfern"), geht ein Abend zu Ende, der reichlich feine Jazzkunst frisch geboten hat. Das Publikum quittiert dies mit besonders viel Beifall.

Michael Schaust
RZ Koblenz und Region vom Dienstag, 12. Oktober 2010, Seite 19

 

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